Wie die Krise uns der Marktwirtschaft näher bringt
Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht in Presse, Funk und Fernsehen, vor allem im allgegenwärtigen Nörgel-Blog, vom ENDE DES KAPITALISMUS lesen können. Die Sarah Wagenknechts der verbalen Worthubereien feiern allerorten Triumphe, die Lafontaines mit den fast platzenden Stirnadern sitzen in allen Talkshows. Und der SPIEGEL braucht nur eine ausgequetschte Zitrone aufs Titelbild drucken, und alle wissen, was ich schon in meiner Jugend wusste: Kapitalismus muss weg!
Für mich – und meine Freunde und Verbündeten im Geiste – ist diese Debatte schmerzhaft. Weil sie die Chancen, die in der Krise stecken, zugunsten eines moralinen Wohlfühl-Radikalismus zunichte machen. Weil die Argumente aus ideologischen Geschoss-Hülsen einer vergangenen Zeit bestehen. In dieser Zeit war „Kapitalismus” das Gegenteil von Sozialismus.
Aber „Kapitalismus” ist nicht das Gegenteil von Sozialismus (den es nicht gibt und nie geben wird, es sei denn als Tyrannei und organisierte Unterentwicklung). Kapitalismus ist das Gegenteil von UNTERNEHMERTUM (oder besser „Entrepreneurship”). Kapitalismus entsteht dann, wenn wir ZU WENIG Unternehmertum haben, nicht ZU VIEL. „Kapitalismus” ist das NICHT-funktionieren eines wirklichen, ehrlichen, offenen Marktes.
- „KAPITALISMUS” ist, wenn Produkte, Waren, Dienstleistungen EINZIG UND ALLEIN zu dem Zweck erfunden, produziert und vertrieben werden, Kapital zu vermehren. Es ist im Grunde wurscht, welche Qualität, Idee, Orginalität, STIL ein Produkt hat, was es wirklich für den Kunden bringt. Der Kunde ist ein „Verbraucher”, ein Empfänger, eine Melkmaschine. Etwas wird IN DEN MARKT GEPRESST – mit allen subtilen Mitteln der Werbung und der Manipulation.
- UNTERNEHMERTUM hingegen ist, wenn eine Leidenschaft und Liebe zu Produkten, Services, Dienstleistungen das Wirtschaftshandeln vorantreibt – wenn das Wohl der Kunden im Mittelpunkt steht. Wenn Menschen sich Gedanken machen, wie sie anderen das Leben besser, leichter, schöner, eleganter, qualitativer machen können.
- „KAPITALISMUS” ist, wenn eine (wirtschaftliche) Organisation von Verlogenheit getrieben wird. Wenn sie Menschen „brainwasht” und mit falschen Versprechungen zu Maximalisierungs-Operationen lockt. So, wie Finanzdienstvertriebe – siehe die letzte ZEIT – wie Schneeball-Systeme organisiert sind. So, wie viele hierarchische Organisationen eine „Buckel- und Opportunismus-Kultur” züchten, die Menschen verbiegt und verdirbt.
- UNTERNEHMERTUM hingegen ist prinzipiell emanzipativ. Es fordert Leistung, aber diese Leistung soll (und muss) eine eigenständige „Selfness”-Dimension enthalten. Menschen sollen (und müssen) sich durch ihre Tätigkeit weiterentwickeln, entfalten können. Echte Unternehmen sind zu diesem Grunde gegründete Assoziationen. Sie geben dem Einzelnen, dem Mitarbeiter, IMMER etwas mit auf den Weg, was dieser auch in anderen Kontexten FÜR SICH verwenden kann.
- „KAPITALISMUS” ist einer rein materialistischen Idee von Wohlstand verfallen. Seine Symbole und Rituale betonen die Differenz, sie verherrlichen das, was andere sich nicht leisten können. Prunk und Protz, PS und juvenil-männliches Gehabe sind sein Markenzeichen.
- UNTERNEHMERTUM hingegen verbindet Wohlstand mit Stil und Zurückhaltung. Unternehmerischer Erfolg handelt immer von einer (kreativen) Leistung, und IN dieser Leistung liegt bereits der Kern der Gratifikation. Deshalb wird man bei echten Unternehmern nie protziges Luxus-Konsumverhalten sehen.
- „KAPITALISMUS” sieht den Markt als tendenziell bedrohlich an, vor allem, wenn sich darauf selbstbewusste Kunden tummeln. Deshalb versucht man diese Kunden zu verwirren. Und gegenüber der Konkurrenz Hegemonie zu erlangen.
- UNTERNEHMERTUM hingegen sieht Konkurrenten und Kunden als Freunde an, als Coaches, die einem dabei helfen, besser zu werden.
- UNTERNEHMERTUM ist im Herzen kreativ. Er erzeugt Win-Win-Situationen. ALLE haben etwas davon, wenn etwas produziert, verkauft, erfunden wird. „KAPITALISMUS” hingegen organisiert ein getarntes Win-Lose-Spiel: Wenn ein Marktteilnehmer „gewinnt”, dann nur dadurch, dass er dem anderen etwas abnimmt.
Gut und schön, werden nun viele sagen. Aber wie soll man das IN DER REALITÄT auseinanderhalten? Geht all das nicht alles irgendwie ineinander über?
Es stimmt schon: Jede größere Organisation trägt BEIDE Impulse in sich. Die kapitalistische Seite wird vielleicht von den Kapitaleignern vertreten, während in der Firmenkultur selbst Elemente der Entrepreneurship dominieren können. Unternehmen sind oft MELANGEN von Impulsen und Motiven.
Und dennoch: Der wahre Kern offenbart sich am Ende immer, wenn man genauer hinschaut.
Apple zum Beispiel ist ohne Zweifel ein knallhartes Profit-Unternehmen. Manchmal ähnelt die Firmenkultur bei unseren Apfel-Freunden ein wenig einer Sekte. Aber ich kenne keinen einzigen Apple-Mitarbeiter, der nicht, wenn er die Firma verlassen hatte, BEREICHERT herausgekommen ist. Und ich kenne nur wenig Apple-Produkte, die nicht den Geist authentischer, durchdachter, „passionierter” Innovation atmen (was nicht heisst, das nicht auch unsere Kult-Firma irren und sich blöde-kapitalistisch verhalten kann).
Microsoft hingegen tut so, alles wäre es chic, cool, jugendlich und überhaupt. Und agiert doch „im Wesen” immer wieder als Monopolist (etwa wenn es Apple-Produkte spät und schlecht imitiert).
Viele Telekomfirmen, Banken, Pharmaunternehmen haben eine Menge schöner Worte in ihrer Werbung und in ihrer „corporate responsibility” stehen. Aber wenn man genau hinschaut, ist der ach-so-billige Handy-Tarif nur gemacht, damit wir Kunden völlig die Übersicht verlieren. Der Bankberater berät uns nicht durch puren Zufall immer in komplizierte und unlukrative Produkte hinein, sondern weil das das GESCHÄFTSMODELL der Bank ist. Das Medikament wirkt zwar, aber eben nur ein winziges bisschen besser als das vorhergehende. Das ist, sorry, den Preis nicht wert.
Man muss schlichtweg nicht glauben, was Unternehmen behaupten. Sondern genau anschauen, wie sie HANDELN. Man kann SPÜREN, wie der Geist eines Unternehmens tickt. Man muss nur hinhören und hinsehen.
Meine Zukunfts-Utopie ist, dass eine zunehmende Anzahl von mündigen, durch das Internet und Erfahrung „empowerten” Kunden den Kapitalismus zurückdrängen und das Markt-Unternehmertum fördern. Indem sie innovative Produkte begeistert annehmen und den Schrott verweigern. Indem sie Unternehmen und Unternehmer beim Wort nehmen, aber auch loben und preisen, wenn sie den Mut zu Innovationen haben. Oder sich fair zu ihren Mitarbeitern verhalten (was viel öfter vorkommt, als uns Ideologen und Medien glauben machen wollen).
Meine Utopie ist, dass immer mehr Menschen SELBST Unternehmer – oder „Selbst-Unternehmer” – werden. Im Geiste, im Herzen, in der Seele.