Warum der Elitäre Pessimismus die Rechten an die Macht bringen kann.
Es war eine schöne Zeit, die nun hinter uns liegt. Die Zeit, in der wir nicht mehr im finsteren, dumpfen Klassenkampf lebten. Sondern in einer Welt, in der abgewägt, gezweifelt und differenziert wurde – im Denken wie im Handeln. In der man versuchte, ständig klüger zu werden und die Gesellschaft intelligenter zu machen – indem man die Welt von der Zukunft her dachte und sich vom Schwarz-Weiß-Denken verabschiedete.
Jetzt aber ist diese Zeit zu Ende.
Überall werden Fronten gebaut. Wir gegen Die. Unten gegen Oben. Rechts gegen Links. Das Volk gegen die Verräter. In jeder Talkshow, in (fast) jeder Schlagzeile wird das nahe Ende Europas / der Renten / der Gesundheit / des Religionsfriedens / des Kapitalismus / beschworen. Und zwar auf eine unheimliche Weise lustvoll. Selbst sozialdemokratische Parteien wie die SPD, die ihre Größe darin fanden, zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur eine produktive Balance zu gestalten, lassen sich den alten Klassenkampf wieder einreden. Indem sie zum Beispiel ihren sensiblen Vorsitzenden vor laufenden Kameras von einer rustikalen Putzfrau demontieren lassen. Und das für authentisch halten.
Es ist die Selbstauslieferung an den Populismus, die einen verzweifeln lässt. Neulich war ich in Wien auf einem Dinner von linken Alt-68er-Kulturschaffenden eingeladen, Regisseure, Filmemacher, Schauspieler, lauter kluge, berühmte, wohlhabende Leute. Sie redeten düster, wie in Weimarer Zeiten. Der Neoliberalismus nimmt den Armen alles, die Umwelt wird vernichtet, der Staat ist unfähig, die Politiker sind allesamt korrupt, Versager, Nichtskönner, TTIP ist Imperialismus. Der rechte Populismus, so die Argumentation ist das Produkt des Kapitalismus. Man hätte nur noch das Wort VOLK anhängen müssen, und eine astreine FPÖ-AFD-Rede gehabt. Bei teurem Sauvignon und edlem Käse aus Vorarlberg.
Mit diesen negativistischen Ideologien züchtet man genau das, was man fürchtet. Die Rechten können am Ende besser das Unglück thematisieren, und in Hass umformen, das aus dem totalen Negieren der Schönheiten des Lebens stammt. Man kann diese Haltung elitären Pessimismus nennen. Der Erfolg der Rechten hat vor allem damit zu tun, dass so viele Menschen in Modellen der Ablehnung denken. Anstatt die Differenzierung der Welt, die wunderbare Komplexität, in der wir leben, zu feiern, übertreffen sie sich in Düsternissen. Sie projizieren ihre eigenen Depressionen auf die Welt – und die Rechten profitieren davon. Sie räumen das Feld, bevor der erste Schuss gefallen ist.
Ein neuer Klassenkampf entsteht. Aber er findet nicht mehr zwischen „unten” und „oben” statt, auch nicht zwischen Rechts und Links. Auf der einen Seite der Barrikade steht die „Kreative Klasse” – jene kosmopolitisch-vernetzt Denkenden und Fühlenden, die Pluralität und Individualität leben. Auf der anderen die Rückwärts-Klasse, die für das Alte grölt. Auf der einen Seite findet sich der offene, fragende, zweifelnde Geist. Auf der anderen die geschlossene Weltanschauung. Der Kampf verläuft zwischen denen, die in einer urbanen, komplexen Welt leben wollen, in der das Individuum und die Andersartigkeit den Wandel treiben. Und denen, die ihre Sehnsucht nach Masse und Macht in die imaginierte Vergangenheit zurücktreibt.
Auf dem Parteitag der AFD ist es klar ausgesprochen: Sie wollen „68”, die große kulturelle Modernisierung der 70er/80er Jahre rückgängig machen. Das heißt: Sie wollen die Welt, die Zukunft, uns ALLE abschaffen. Ich bin kein 68er im originären Sinne. Aber mein Leben, und das aller meiner Freunde, ist reich geworden, wo wir die Zwänge und Dumpfheiten der alten Normen-Welt überwinden konnten. Dass Schwule unsere Freunde sind und Ausländer unsere Vorbilder, das ist der Kern unseres Lebens, den wir mit Zähnen und Klauen verteidigen werden (dazu muss man nicht jeden Political-Correctness-Quatsch gut finden).
Wie wird dieser Kampf verlaufen? Arbeiter, Bauern, nehmt die Gewehre, skandierten die linksradikalen Kommilitonen in in den 70er Jahren. Nein, wir werden den alten Fehler nicht wiederholen. Wir leben nicht in Zeiten des spanischen Bürgerkriegs. Unsere Waffen sind Gedanken, Worte, Träume, Bücher, Musik, Filme, Kreativität, Zweifel. Liebe, ja Liebe. Darin sind wir mächtig. Darin sind wir stark. Wir werden siegen. Und wenn wir am Ende doch wieder verlieren sollten, wie unsere Großeltern, dann müssen wir eben gehen. Vielleicht nach Costa Rica oder Sri Lanka, nach Hongkong oder Tel Aviv oder in die Marskolonie. Die Welt ist mobil geworden, vernetzt, und das kann trösten. Bis dahin haben wir zumindest die eleganteren Zweifel, die schöneren Gedanken, und den besseren Sex.
Vielen Dank! Vor allem der Schluss zaubert mir ein tapferes Lächeln in die Seele. Warum hören wir, zumindest im öffentlichen Raum, nirgendwo von einem Aufbruch in eine bessere Zukunft? Wir haben so viele Ressourcen dafür wie noch nie, und können kaum etwas damit anfangen. An was mangelt es? An Solidarität innerhalb der kreativen Klasse? An politischem Willen? Gewinnen wir diesen Kampf, wenn jeder sein Ding macht – oder braucht es mehr dazu? Und wenn ja, was?