Wie in der Krise der „Old Industries” neue Querschnitts-Wirtschaftsbranchen entstehen
„Wachstum ereignet sich nicht in kontinuierlicher Form, sondern in Stürmen kreativer Zerstörung.” Dieser prophetische Satz von Joseph Schumpeter aus den 20er Jahren klingt heute hochaktuell. Er macht uns Angst und beruhigt uns zugleich: Krisen sind, im persönlichen wie im Wirtschaftsleben, normal. Es war und ist eine Illusion, zu glauben, dass DAS NEUE immer nur im stetigen AUFWÄRTS entsteht.
Weh dem, der niemals eine Krise hat. Er wird stagnieren und schließlich untergehen.
In Schumpeters Zeiten waren es oft Kriege und gewalttätige politische Umbrüche, die Modernisierungen vorantrieben. Im Zusammenbruch der Kaiserreiche entwickelte sich die Industriegesellschaft. Die Zerstörung des Zweiten Weltkrieges führte zu jener Katharsis, die das westlich-liberale Gesellschaftsmodell durchsetzte. Und unserer Hemisphäre zum ersten Mal den Massenwohlstand brachte. Der sich in den letzten zwei Jahrzehnten auch auf andere Regionen des Planeten ausdehnt.
Heute sollten wir dankbar sein, dass es keine Kriege mehr benötigt, um die Dinge voranzutreiben. Im Gegenteil: Die internationale Zusammenarbeit scheint sich in der Krise eher zu verbessern als zu verschlechtern. Allen Protektionismus-Tendenzen zum Trotz: Wir leben heute weit mehr auf EINEM Planeten als in der geteilten und kriegerischen Welt des 20. Jahrhunderts. Immer mehr Menschen wissen das, und immer mehr Regierungen auch. Die politische Klugheit hat sich deutlich verbessert.
Wirtschaft ist die Geschichte vom Aufstieg und Abstieg ganzer Wirtschafts-Sektoren. Diesmal hat es besonders die „schweren” alten Disziplinen erwischt: Maschinenbau, Automobile, Banken, aber auch Chemie und Handel, (klassische) Medien, auch die Pharma-Industrie. Diese Sektoren dominierten den blühenden Spät-Industrialismus der letzten zwei Jahrzehnte. Aber in Ihrem Inneren war schon seit Jahren vieles faul, gerade WEIL diese Branchen so unerhörte Erfolge feiern durften.
Diese „Big Player” werden weiterexistieren. Aber sie werden sich konsolidieren – und sich dabei neu erfinden. So, wie die Stahlindustrie in den 70er Jahren nahezu zerstört wurde – und sich dann kleiner, mobiler, effektiver rekonstruierte – wird auch das Bankenwesen neue Effektivität erreichen. Dafür muss es schrumpfen, transparenter und ehrlicher werden. Ebenso wie Auto- und Pharmaindustrie muss es sich einer kritischen Öffentlichkeit stellen, die einen NEUEN MARKT DER MORAL bildet.
Was aber kommt dann? Die ökonomische Musik spielt im nächsten Aufschwung auf ganz anderen Feldern. Zum wirtschaftlichen Treiber werden so genannte QUERSCHNITTBRANCHEN, die sich im Nebel des Strukturwandels langsam abzeichnen:
Energie- und Mobilitätsnetze:
Die Mega-Investition der Zukunft fließt in die Netzwerke erneuerbarer Energien – von Thermosolarkraftwerken in der Sahara bis zu Elektrischen Tankstellen an jeder Ecke und „Grünem Bergbau”. Autos werden sich elektrifizieren, das Verkehrsnetz passt sich ins (solare) Energienetz ein. Häuser produzieren Energie, statt sie zu verbrauchen, und bilden zusammen virtuelle Kraftwerke. Das postfossile „Energy Grid” wird die neue Kondratieffsche „Basis-Innovation” bilden: eine gigantische Infrastruktur, die das Zeug zu einem weltweiten Wirtschaftstreiber hat, und in der Chemie, Materialtechnik, Agrarwirtschaft, aber auch Elektronik und Nanotechnik konvergieren.
Der Care-Cluster:
Die so genannten „Sozialbranchen” emanzipieren sich. Früher galten sie als Bereiche, die lediglich Kosten verursachten. In nächsten Zyklus werden sie zu einem dynamischen Milliarden-Euro-Business. Das weite Feld der Kinderbetreuung, des „Elder Care”, der Health- oder Heim-Services, des Trainings für Arbeitslose und Migranten, ist eine Riesenbranche mit jeder Menge Innovations-Potential und enormen wirtschaftlichen Chancen. In diesem Bereich entstehen „Global Player” mit erstaunlichen Größen
Smart Tech:
Nokia hat heute mehr als 350 Modelle auf dem Markt, Apple ein Einziges. Apple stieg in zwei Jahren zum zweitgrößten Handyhersteller der Welt auf. Was sagt uns das? Dass Technikmärkte in Zukunft nicht mehr durch VIEL und MEHR funktionieren werden. Sondern durch intensives Nachdenken über menschliche Bedürfnisse. In vielen Bereichen, etwa in der Hauselektronik, stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung hin zu einer menschenfreundlichen Technik. Prognose: Die Zukunft wird zwei, drei, viele „Apples” sehen. Humantechnologie muss erst noch erfunden werden!
Restoration Industries:
Der Reparaturbedarf für Infrastrukturen ist gewaltig. Nicht nur in Indien sind Wasserleitungen, Strassen und Eisenbahnnetze marode. Die De-Industrialisierung setzt nun auch in den Schwellenländern ein: Riesige Flächen müssen saniert und re-naturiert werden. Staatliches Geld verstärkt hier nur einen weltweiten Trend: Reparieren, Instandsetzen, Re-Naturieren, aber auch: Modernisieren von öffentlichen Räumen und Gebäuden. Ein gigantisches globales Business.
Human-Ressourcen:
Heute gründen Eltern und innovative Pädagogen jeden Tag eine neue private Schule. Und in den Firmen wird in der Krise verstärkt Weiterbildung betrieben. Allmählich setzt sich die weise Erkenntnis durch, dass – bei schrumpfender Bevölkerung und erstarkenden Schwellenländern – nur unser kreatives HUMANKAPITAL Wohlstand sichern kann. Viele Investitionen staatlicher wie privater Art werden in diesen Sektor fließen. Neue Universitäten werden sich gründen. Weiterbildung in den Unternehmen ist nicht nur ein „Nebenaspekt”, sondern rückt ins Zentrum wirtschaftlicher Tätigkeit. Bildung wird umcodiert vom Kostenfaktor zum EIGENTLICHEN Investitionssektor.
Cultural Industries:
Allein in den großen Museen Europas hat sich die Besucherzahl in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt. Das Interesse für Kunst, Geschichte, Naturwissenschaft, Architektur, ist riesig und wächst auch (und gerade) in der Krise. Sogar „alte” Kulturformen wie die Oper erleben einen Boom. Der Kultursektor galt bislang als eher vernachlässigbares Nebenschauspiel. Aber man denke daran, wie in den 70er Jahren das Rock- und Pop-Business zu einer echten Entertainment-Maschine heranwuchs. Kultur ist eine mächtige Boombranche und wird die Globalisierung der nächsten Stufe vorantreiben. Riesige Sportereignisse bringen heute schon Milliardenumsätze – im Jahre 2010 kommt der Fussball nach Afrika.
„Unternehmung nennen wir die Durchsetzung neuer Kombinationen.” Auch dieser Satz stammt von Joseph Schumpeter, der keineswegs nur der Apologet der Zerstörung, sondern auch der Prophet des Wandels war. Nein, der Kapitalismus ist nicht „am Ende”, wie uns die nun wieder marschierenden Ideologen verkünden. Er wird nur in eine neue Stufe der Kreativität gezwungen. Und das ist ganz normal so. Es ist der Gang der Welt.