Umweltverschmutzung, Klimawandel, Artensterben – düstere Weltuntergangsszenarien malt der „Club of Rome“ seit über 40 Jahren an die Wand. Doch es geht uns seltsamerweise besser denn je.
Als das Buch „Die Grenzen des Wachstums” im Jahr 1973 erschien, galt das Werk als Offenbarung. Ich war gerade 18 Jahre alt geworden und in der aufgeheizten Stimmung von Jugendrevolte und Zivilisationskritik bot das Buch von Dennis L. Meadows und seinen Mitstreitern pures geistiges Dynamit. Man konnte es auf dem Küchentisch liegen lassen wie einige Jahre zuvor die Mao-Bibel, und die Eltern warfen es als „Schundpropaganda” zornig in den Papierkorb.
Natürlich verstanden sie nichts von dem, was drinstand. Eltern verstanden damals notorisch gar nichts. Aber verstanden WIR etwas? „Die Grenzen des Wachstums” war von Anfang an kein Buch zum Lesen. In dramatischen, grob gepixelten Kurven bewies es uns, dass das Ende der Menschheit nahe war. Hinter den Kurven standen allerdings ermüdende Statistiken und eine Mathematik, die sich kaum einem Leser erschloss. Aber ein unabweisbarer Mythos umflorte das Buch: Schließlich handelte es sich um die erste echte Computerberechnung der Zukunft!
„Elektronengehirne” waren damals groß wie Häuser, und mindestens ebenso groß schien ihre Unfehlbarkeit. Letzten Endes vollziehen Computer aber nur, was Menschen ihnen eingeben. Und wie Menschen sich die Welt visionieren, so bauen sie auch die Modelle, die die Zukunft erklären sollen. Sehen wir uns die Modelle und die Mathematik, die hinter diesem ehrgeizigen Welt-Simulationsmodell stehen, etwas genauer an. Der Fairness wegen muss man sagen: „Die Grenzen des Wachstums” war kein Prognose-Werk. Die notwendigen Daten, um den Weltverlauf berechnen zu können, waren damals einfach nicht vorhanden. Stattdessen lag dem Werk eine Art Simulationsmaschine zugrunde, die unter der Annahme verschiedener Start-Parameter verschiedene Szenarien ausspuckte.
Allerdings verliefen so gut wie alle Varianten katastrophal. Der Zusammenbruch der Weltbevölkerung, die Verseuchung der Biosphäre, die große Weltwirtschaftskrise – das waren die Zukunftspanoramen, die dem Modell fast zwangsläufig entsprangen. Die Möglichkeiten des „Umsteuerns” waren hingegen so begrenzt wie bei einem Zug, der auf ein stehendes Hindernis zurast. Auf den ersten Blick wirkt die vor 40 Jahren veröffentlichte „Landkarte” des Modells sehr differenziert. Unzählige verschlungene Pfeile führen von den einzelnen Elementen des Systems zu den anderen.
Doch beim genaueren Hinsehen zeigen sich schnell die fundamentalen Schwächen. Die Haupt-Faktoren, mit denen das „Welt-3-Modell” rechnet – Bevölkerungszahl, Kapitalinvestition, geografischer Raum, natürliche Ressourcen, Umweltverschmutzung – werden weitgehend als fixe oder begrenzte Größen behandelt. „Natürliche Ressourcen”, zum Beispiel Öl, Erz, Biomasse, sind als „Vorrat x” vorhanden.
Kapitaleinsatz verbraucht diese Ressource, bis sie zu Ende geht. Was folgt, sind Krise und Zusammenbruch. Doch wie passt zum Bespiel die schier endlose Ressource Sonnen- und Windenergie in ein solches Modell? Zu wenig Raum lässt es für technologische Veränderungen, Neuerfindungen, Verbesserung von Wirkungsgraden und Recycling-Techniken. Im Club-of-Rome-Modell resultiert Umweltverschmutzung in einem starren 1:1-Zusammenhang aus Wirtschaftswachstum. Doch die Wirklichkeit ist viel komplexer: Wirtschaftliche Kräfte führen auch zu kulturellen Veränderungen. Wenn breite Mittelschichten entstehen, erzeugt die Nachfrage nach Lebensqualität die Durchsetzung neuer Umweltschutz-Technologien.
Die Feedback- Schleife zwischen Technologien, Innovationen und Märkten wird im Modell kaum abgebildet. Im Jahre 1980 prognostizierte Paul Ehrlich, einer der Warner und Mahner im Umfeld des Club of Rome, eine unmittelbar bevorstehende gigantische Rohstoffkrise auf dem Weltmarkt – mit der Folge von Wirtschaftskriegen und gewaltigen Hungersnöten, die Hunderte von Millionen Opfer fordern würden. Julian Simon, ein Sozioökonom, schlug ein und wettete dagegen. Zehn Jahre später waren die fünf Rohstoffe, auf die man sich geeinigt hatte, nicht knapper, sondern deutlich billiger geworden.
Simon hatte die Wette haushoch gewonnen. Simon vertrat als Ökonom eine steile, bis heute hochgradig skandalöse These: Rohstoffe bleiben längerfristig immer zu vergleichbaren Preisen verfügbar und werden auch zukünftig nicht ausgehen! Bis heute ist Simons These erstaunlicherweise nicht widerlegt worden. Obwohl wir ständig über „Peak Oil” sprechen, über die hohen Benzinpreise schimpfen, sind diese seit den 1960er Jahren nur moderat gestiegen – wenn wir die Kaufkraft in den Industrieländern berücksichtigen.
An der neuesten Front der Rohstoff- Verknappung zeichnet sich dasselbe ab: Die „Seltenen Erden” wie Lanthan, Yttrium oder Dysprosium, wichtige Substanzen für die Handy- und Computer-Herstellung, wurden von der chinesischen Regierung zum zentralen Strategieziel erklärt. Die Preise für diese Substanzen, so hieß es seit Jahren unisono, müssten demnächst explodieren. Doch sie fielen in den letzten Jahren, und China kündigte unlängst an, ein Fünftel der Produktionskapazitäten zu schließen. Viele Substanzen verlieren ihre Bedeutung, wenn sie durch neue chemische und technische Verfahren plötzlich substituierbar werden – und die Palette der Verfahrenschemiker wird ständig größer.
In seinem wunderbaren Buch „The State of Humanity“, geschrieben in den frühen 1990er Jahren, schildert Simon „einen ganz normalen Planeten in einem eher durchschnittlichen Sonnensystem, auf dem Weg der ständigen Transformation”. Alle Krisen, so Simon, sind immer nur temporäre Übertreibungen. Wir leben in keinem besonderen, schon gar nicht einem „kritikalen” Zustand. Wir leben in einem Universum voller Energie und Stoffe. Wir lernen mehr und mehr, Moleküle und Substanzen umzuformen, wiederzuverwenden oder durch andere Rohstoffe zu ersetzen. Wir haben keine absoluten, allenfalls vorübergehende, durch Markt und menschliche Erfindungsgabe sich selbst regelnde Knappheiten. Wir leben in Wahrheit nicht in einer Knappheitswelt, sondern in „Kornukopia”, einem Füllhorn-Universum. Man muss Simons radikale These nicht mitkaufen, um diesen Selbstorganisations-Prozess wahrzunehmen.
Nehmen wir die Welt-Bevölkerungszahl. Im Club-of-Rome-Urmodell ist dies eine entscheidende Größe: je mehr Menschen, desto mehr Druck auf die Umwelt, desto weniger Nahrungsmittel, desto mehr Not und Elend. Und schließlich folgt die große Hungerkatastrophe; die Zahl der Menschen schrumpft radikal. Die Wirklichkeit ist jedoch viel verschlungener: Sobald Technologien und große Städte entstehen, in die immer mehr Bewohner des ländlichen Raumes ziehen, erfolgt früher oder später der „demografische Sprung”.
Mehr Bildung wird in die Kinder investiert, die länger lernen und später heiraten. So setzt sich die Kleinfamilie als gesellschaftliche Norm ganz von selbst durch. Die Bevölkerungszahl moderiert sich durch eine Vielzahl von Faktoren: die Säkularisierung, die Rolle der Frau, Zugang zu Verhütungsmitteln, Emanzipationsprozesse, institutionelle Veränderungen. All diese Veränderungen finden wir in jedem Land der gesamten Erde. Heute liegt die Geburtenrate der Welt – von Schweden bis Burkina Faso – bei 2,4 Kindern pro gebärfähiger Frau. Und sie nimmt weiter ab. Das heißt, dass in rund zehn Jahren die globale Geburtenzahl die Zahl der Todesfälle unterschreiten wird – zum ersten Mal in der Geschichte.
Das bedeutet noch nicht, dass die Weltbevölkerung unmittelbar sinkt – verlängerte Lebenszeit und verringerte Kindersterblichkeit erzeugen einen Gegeneffekt. Aber ihr Sinken ist nur eine Frage der Zeit. Spätestens 2060 wird die Erdbevölkerung zu schrumpfen beginnen. Nicht bei 11 oder 13 oder 15 Milliarden, sondern zwischen 9 und 9,4 Milliarden Menschen wird der „Human Peak” liegen. Im Jahr 2150 werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger Menschen als heute auf der Erde leben. Menschen sind eben keine Kaninchen. Auch Tiere vermehren sich übrigens nicht grenzenlos. Bei Mäusen, die man in Käfigen ordentlich füttert, verringern sich nach einiger Zeit die Ovulation und die Wurfzahl. Auch Guppies in Aquarien regeln ihre Population – allerdings indem sie ihre frisch geschlüpften Kinder auffressen. Schon 1973, als „Grenzen des Wachstums” herauskam, erschienen mehrere Werke, die das Meadows-Modell massiv kritisierten. In Models of Doom: A Critique of the Limits to Growth behaupteten Christopher Freeman und Marie Jahoda, dass es im Club-Of-Rome-Modell von handwerklichen Fehlern nur so wimmele.
Sie speisten einige andere Variablen als Parameter ein, und siehe da – die Zukunfts-Szenarien verhielten sich völlig anders! Eine Erhöhung der Rate für Öl-Neuentdeckungen von nur einem Prozent hätte die Ölreserven allein auf 200 Jahre gestreckt. Im Jahr 1979 erschien eine der Zukunftsstudien mit den besten Trefferquoten. Von Wissenschaftlern der OECD – Ökonomen, Soziologen und Systemikern – erarbeitet, trug sie den etwas sperrigen Namen „Interfutures: Facing the Future – Mastering the Probable and Managing the Unpredictible”. Das dicke Werk schilderte die Zukunft keineswegs als krisenfreie Zone. Aber es sah auch eine Menge rekursiver Phänomene voraus, also Trends, die ihre eigenen Grundlagen beeinflussen und deshalb nicht-linear ablaufen.
Den Boom alternativer Energien, die weiteren Produktivitätssteigerungen der Landwirtschaft, den gewaltigen Wohlstandsgewinn der Schwellenländer, den Wertewandel in Modernisierungsprozessen, die höhere Effektivität von Technologien und das Aufkommen der Umwelt-Märkte: All dies durchdrang diese Studie viel präziser und komplexer, als der Club of Rome es vermochte. Wer hat jemals von diesem Werk gehört? Und wer kennt die Arbeit von Chris Goodall, der in seiner Studie „Peak Stuff” am Beispiel Großbritanniens zeigt, wie sich die meisten Parameter des Material- und Energieverbrauchs, des materiellen Konsums und des Naturkonsums bereits wieder nach unten neigen?
Die Botschaft, die sich mit der enorm erfolgreichen Medien-Marke „Club of Rome” verbindet, ist jedoch bis heute die gleiche geblieben: „Humanity will not make it!” Die Menschheit wird es nicht schaffen! Aus der Sicht der heutigen Systemforschung kann man über das Modell des Club of Rome ein klares Urteil fällen: Es basiert auf einem mechanistischen, zu stark vereinfachten Weltmodell, dessen Algorithmen auf linearer Logik beruhen. Die Welt ist jedoch ein hochgradig nicht-lineares dynamisches System.
Für die reale Zukunft brauchen wir deshalb ein Modell, das komplexe dynamische Wechselwirkungen mathematisch abbilden kann. Auch weiche Faktoren, Sozialverhalten und kultureller Wandel gehören dazu. Unmöglich ist das nicht. Die systemische Zukunftsforschung kann heute weit komplexere Systeme berechnen – zumal wir über gigantische Datenmengen verfügen, während der Club of Rome in den 1960er Jahren nur ein winziges Datengerüst hatte. Die Wissenschaftler der FutureITC-Projekts in Zürich beschäftigen sich gerade mit dem Aufbau eines „World Simulators” der dritten Generation.
Dieses Modell soll unentwegt den Wandel scannen und so Krisen voraussagen können. Das Modell des Club of Rome ist das, was man in der Kognitionsforschung eine „Narrative Fallacy” nennt: eine nachträglich geschaffene Erzählung, die das Geschehene plausibel machen soll. Eine solche Erzählung baut immer auf Annahmen, die sich wissenschaftlich niemals widerlegen lassen – und deren emotionaler Kern tief in unserem Erbe verankert ist. Gott ist per definitionem nicht widerlegbar, denn zu seiner Allmacht gehört ja auch seine Tarnfähigkeit. Leben nach dem Tode ist nicht widerlegbar, weil niemand von dort wieder nachweislich zurückgekehrt ist. Der Glaube an den Sozialismus ist nicht widerlegbar, weil das Scheitern dieser Gesellschaftsform nur deshalb geschah, weil es nicht der richtige Sozialismus war.
Die vom Club of Rome propagierte „Angst vor dem Kollaps” funktioniert auf ähnliche Weise. „Man kann immer nur beweisen, dass etwas definitiv gefährlich ist, aber nicht, dass es definitiv sicher ist”, formulierte Tom Standage in „An Edible History of Humanity”. Eine Katastrophe, die nicht stattfindet, ist kein Beweis dafür, dass unsere Welt sich nicht auf eine Katastrophe zubewegt. Im Gegenteil: Das Ausbleiben nährt den Verdacht, dass alles noch schlimmer werden muss! Religiöse Weissagungen und erfolgreiche Sekten haben dieses Paradox seit Jahrtausenden genutzt.
Die mehrmalige Verschiebung des großen Armageddon hat den Zeugen Jehovas nicht geschadet – nach wie vor befindet sich diese fundamentalistische Großsekte weltweit auf Wachstumskurs. Der „Confirmation Bias”, wie die Kognitionsforscher den Effekt nennen, mit dem Menschen die Realität immer wieder im Sinne ihrer ursprünglichen Annahmen umdeuten, kommt auch beim Club-of-Rome-Weltbild zum Einsatz: Positive Entwicklungen werden ausgeblendet oder als Ausnahmen definiert. Haben aber Meadows und seine Truppe nicht zumindest eine wichtige aufklärerische Funktion gehabt? Haben sie nicht wenigstens darauf aufmerksam gemacht, dass wir auf einem endlichen, fragilen, bedrohten Planeten leben, und damit die Ökologie-Debatte überhaupt erst eröffnet? Man kann es auch anders sehen: Die Arbeit des Club of Rome hat einen guten Ansatz – den der systemischen Weltsicht – auf dem Altar der Medienwirksamkeit geopfert.
Das Echo in den Medien hat die guten Ansätze übertönt. Publizisten und Wissenschaftler im Umfeld des Club of Rome fielen der Versuchung anheim, durch drastische Extreme und Übertreibungen Aufmerksamkeit zu erregen. Das hat eine Tunnelsicht in den Köpfen vieler Menschen gefestigt. Und dazu beigetragen, dass unsere heutigen Zukunftsdebatten alarmistisch verlaufen. Das schürt nicht Handlung, sondern Ohnmacht; nicht Aufklärung, sondern Paranoia.
Es wird Zeit für eine dynamischere Welt-Betrachtung, in der die Erkenntnisse der neuen System-Wissenschaften wie Spieltheorie, Resilienz- und Komplexitätsforschung Einzug halten. Zukunft entsteht immer nur dann, wenn wir Angst in konstruktive Erkenntnis transformieren – indem wir die wunderbare Komplexität der Welt erkennen und schätzen lernen.
Kürzlich veröffentlichte die NASA neue Aufnahmen des Blauen Planeten in brillianter Schärfe und wunderbarer Schönheit. Wer glaubt, dass wir auf einem „kranken Planeten” leben, der sollte sich diese Bilder einmal ansehen. Sie erzählen die Geschichte eines Planeten, der von einer intelligenten Spezies bewohnt wird, die nicht immer alles gut macht, aber auf dem Weg ist zu lernen. Dass wir diesen Planeten gleichsam „umbringen” könnten und uns selbst gleich mit, ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete Größenwahn-Fantasie unserer Zeit.
Erschienen im P.M. Magazin 03/2013